Das Leben in Luxemburg von 1839 - 1939 - Teil 2
100 Jahre Unabhängigkeit ? von Ing. Agr. Vic Fischbach

Aber alles hat seine zwei Seiten. Wir sagten, dass viele Bauern auswanderten und dadurch fielen die Bodenpreise. Diese Tatsache zog Bauern aus Lothringen und Belgien an; sie wanderten nach Luxemburg ein. Sie hatten mehr Erfahrung als unsere Bauern, sie brachten besseres Vieh und bessere Ackergeräte mit. Sie haben dort noch Profit erzielt, wo unsere Bauern versagt hatten.
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Damals war niemand da, der die Bauern beriet, und deshalb waren die Ackerbauvereine, die seit 1846 entstanden, eine dringende Notwendigkeit. Sie gaben Zeitungen und Zeitschriften heraus, und sie kümmerten sich um die Probleme der Bauern. Heute besteht noch einer dieser Vereine, und zwar der Verein ?ANNALEN?, der 1853 gegründet wurde. Der Verfasser dieses Beitrags hat als Präsident die 150-Jahr-Feier der ANNALEN im Jahr 2003 organisiert und ein 360 Seiten dickes Jubiläumsbuch herausgebracht.

Um 1840-1850 entstanden Fabriken im Land, die beispielsweise Pflüge und Walzen fabrizierten (Colmar, Lintgen, Wecker, Weilerbach). Bis 1846 hatten wir nämlich noch ausschließlich den hölzernen Pflug.

Vor 1850 gab es selbstverständlich auch noch keine Dreschmaschine im Land, und für das bißchen Getreide, das damals geerntet wurde, standen die Leute fast den ganzen Winter über, von morgens früh bis abends spät, in der Tenne mit den Flegeln zu dreschen.
Wir möchten auch noch auf eine wichtige maschinelle Neuerung jener Zeit hinweisen, die 1851 aufkam und die speziell den Gespanntieren, hauptsächlich in gebirgigen Gegenden, genutzt hat, die Sperrschraube (Miknik, wie man sie bei uns nannte). Wäre der Mann bekannt, der sie erfunden hat, ihm müsste ein Denkmal gesetzt werden!
Das Ödland wurde dann auch reduziert, und zwischen 1842 bis 1855 wurden 20.000 Ha in Ackerland verwandelt. Auch die Brache wurde nach und nach verdrängt, und von 1845 bis 1875 hat sie von 38.000 Ha auf 13.000 Ha abgenommen.

Die Männer waren den ganzen Winter, aber auch während des Sommers, voll beschäftigt. Auch so die Frauen; Neben der Arbeit im Haushalt und der Feldarbeit im Sommer haben sie gesponnen und die Spinnräder surrten in den ?Uchten?. Jeder Bauer hatte damals sein Hausmacherleinen und sein Hausmachertuch. Wieviel würden wir heute dafür zahlen?

Nirgends war die Solidarität stärker als auf dem Land und wir müssen folgendes bedenken: Auf dem Lande wurden früher die Kinder nicht von den Eltern aber von ihren Großeltern erzogen. Die Eltern mussten auf dem Felde arbeiten. Jedesmal wurde also eine Generation übersprungen und dies erklärt auch den traditionellen Konservatismus auf dem Lande.
Mit den ausländischen Bauern kam auch besseres Vieh nach Luxemburg. Bis dahin war das Schaf fast noch das Beste und Rentabelste, was die Leute hatten. Die Kühe waren klein und schäbig und man kann es kaum glauben, dass eine Öslinger Kuh nur knapp 175 ? 200 kg gewogen hat, wie es in alten Büchern steht, und dass sie kaum mehr als 1.000 Liter Milch pro Jahr gegeben hat. (heute 800 kg und mehr schwer und 8.000 ? 12.000 Liter Milch pro Jahr).
Im Jahr 1845 ließ Baron de Blochausen Stiere die Durhamrasse aus England importieren und 1846 und 1847 importierte die Regierung wiederum 20 Bullen derselben Rasse aus England und verteilte sie an verschiedene Gemeinden. 1853 wurden aus der Schweiz Simmenthaler importiert; diese kamen hauptsächlich an die Untersauer. Aber auch aus Belgien und Holland wurde Vieh importiert, rotbuntes Niederungsvieh fürs Ösling, schwarzbuntes fürs Gutland.
Unsere Landwirtschaft hatte sich also in Bewegung gesetzt, aber auch die Industrie hatte nicht geschlafen. 1870 waren im Süden des Landes 2 Schmelzen errichtet worden, die damals 130.000 to Stahl produzierten, 1883 war die Produktion schon auf 350.000 t gestiegen. 1878 erhielt unsere Landwirtschaft durch das Thomasverfahren der Eisen-industrie mit dem Thomasmehl einen wertvollen Dünger, den unsere Bauern bis vor etwa 20 Jahren zu einem Vorzugspreis erhielten. Da die Arbeiter für die Eisenindustrie fehlten, kamen viele Italiener in den Süden des Landes. Sie wurden schnell hier sesshaft und haben sich vorteilhaft integriert. Man braucht nur im Telefonbuch zu blättern, um zu erfahren, dass die Nachkommen der ersten Einwanderer waschechte Luxemburger geworden sind.

Um 1883 wurde unsere Politik von Leuten vom Land gemacht, und in der Regierung saßen 2 Männer, die unser Land leiteten: Es waren der Präsident der Regierung, Baron de Blochausen und Justizminister Paul Eyschen. Beide besaßen durch und durch eine Bauernmentalität, ganz im Gegensatz zu der neuen Industrie, die langsam heranwuchs. Wie sah es damals im Parlament aus? 42 Abgeordnete, und von denen haben 30, also 70%, die Interessen der Landwirtschaft vertreten.
Aber die Industrie wurde stärker und stärker, und in der Stadt und in den Industriegemeinden hat die Bevölkerung schnell zugenommen. Die Folgen zeigten sich schon 30 Jahre später und 1914 vertrat nur mehr die Hälfte der Abgeordneten die Interessen der Landwirtschaft und zwar die katholische Gruppe und die liberalen Deputierten.
Die Luxemburger waren 1883 noch eine bäuerliche Gesellschaft und alles drehte sich um den Boden. Landbesitz galt noch immer als Symbol von Reichtum. Damals zählte noch die Tradition. Eine ordentlich ausgeführte Arbeit wurde noch anerkannt, der Respekt vor der Familie und vor der Autorität hat noch bestanden.
Hier einige Auszüge aus Reden, die 1883 anlässlich der Einweihung der Ackerbauschule gehalten wurden:
?Soll unsere Ackerbauschule die Lage des Ackerbaus bessern, dann muß sie ihren Schülern eine Erziehung geben, wie sie sich für den Bauern passt. Das Glück und der hohe Stand des Bauern aber sind dadurch bedingt, dass er vor allem gründlich religiös und dann, dass er arbeitsam, einfach und sparsam wird.?

Ein anderer Auszug:
?Wir dürfen nicht hoch hinausgehen, der Luxemburger Landwirt, christlich erzogen, wohl unterrichtet, ein Mann der Ordnung und Arbeit, einfach in seinen Bräuchen, treu seinem Gott und seinem Fürsten, das ist das Ideal der Ackerbauschule.?

Und noch stärker in einer anderen Ansprache:
?Tätigkeit und Arbeitsamkeit genügen noch nicht. Der Bauer muß auch einfach und sparsam sein. Was nützt es, dass der Bauer durch Anwendung der heutigen Wissenschaft auch doppelt soviel aus seinem Gute zieht, wenn er aus Pompsucht und Genusssucht mehr verzehrt als früher.?

Aus diesen Auszügen sehen wir, wie simplistisch damals gedacht wurde und wie konservativ. Im Grunde genommen blieb diese Denkweise bis 1940 bestehen oder sogar bis 1950, also bis zum 2. Weltkrieg, als sich dann die Konsumgesellschaft gebildet hat.
rbs.luAber lasst uns auf 1883 zurückkommen. Am 28. Februar wurden die Ackerbauschule und die Ackerbauverwaltung (heute ASTA) gegründet. Dies war eine absolute Notwendigkeit, denn obschon in allen Teilen des Landes die Ackerbauvereine an der Besserstellung der Landwirtschaft arbeiteten, fehlte die Koordination und in vielen Fällen verstand der Bauer auch nicht immer, was in den Zeitungen verlangt oder gelehrt wurde. Es wurde trotzdem vieles geleistet. Wir erinnern an die Dränagen, die Regulierung der Wasserläufe, die Felderzusammenlegungen (schon damals), die Verbesserung der Düngerwirtschaft, eine bessere Fütterung, bessere Ställe. Die Bauern die die Ackerbauschule besuchten, haben dort eine gute Ausbildung erhalten. Später sah man, dass sie den andern voraus waren. Es wurden auch schon Bodenkarten aufgestellt und praktische Düngeranweisungen wurden für das ganze Land gemacht.

Wir gehörten dem Deutschen Zollverein an; wir hatten also eine Wirtschaftsunion mit Deutschland. 1879 führte Deutschland für Importe einen Spezialtarif ein und unsere Landwirtschaft konnte sich hinter dieser Mauer frei entwickeln. Wir konnten unsere Waren frei nach Lothringen abliefern, das damals Deutschland gehörte. Diedenhofen und Metz waren gute Abnehmer und weil keine Grenzen zu dem übrigen Deutschland bestanden, konnten wir unsere Produkte auch ins Ruhrgebiet absetzen. An der Mosel und Untersauer entlang wurden, wie oben zu lesen ist, Simmenthaler gezüchtet und wir konnten Zuchttiere aber hauptsächlich Gespannochsen nach Deutschland verkaufen.

Auch um diese Zeit wurde die erste Molkereigenossenschaft gegründet; 1895 zählten wir schon 10, 1901 80 und 1914 hatten wir 146 Molkereigenossenschaften mit 7.115 Mitgliedern.

Am 27. März 1900 erhielten wir eine gesetzliche Konstituierung der Genossenschaften: dies gab dem Staat das Recht, die Genossenschaften zu kontrollieren und 1909 wurden die Lokalvereine im ?Allgemeinen Verband landwirtschaftlicher Lokalvereine? (AVLG) zusammengeschlossen. Der Allgemeine Verband hat von da an immer mehr und mehr die Tätigkeit der Lokalvereine übernommen.

Während des 1. Weltkrieges hat sich nicht vieles in der Landwirtschaft getan; wir wissen aber, dass die Bevölkerung in den Städten oft Hunger gelitten hat, dass die Bauern aber halfen, wo sie konnten, genau wie während des 2. Weltkrieges.

Nach dem 1. Weltkrieg, und zwar 1919 trat Luxemburg aus dem Deutschen Zollverein aus und ging 1921 eine Wirtschaftunion mit Belgien ein. Dies bedeutete das Ende der Simmenthaler in Luxemburg; aus 3 Zuchtgebieten entstanden 2: Rotbunt für das Ösling, Schwarzbunt für das Gutland. Am 11. Februar 1923 wurde die ?Fédération des Herdbooks? ins Leben gerufen. Sie funktioniert noch heute mit den Abteilungen Rinder-zucht, Schweinezucht und Milchkontrolle.

Im Jahr 1922 hatten wir 260 Molkereien, in manchen Dörfern sogar 2, die fast alle der AVGL mit Sitz in Ettelbrück angeschlossen waren. Der Bauer hatte sich mehr und mehr auf Viehhaltung umgestellt, die Methoden der Viehhaltung waren verbessert worden, und der Anfall von Milch, Butter und Käse war gestiegen. Die VGLM, die erste Organisation Luxemburgs, die sich um den Absatz landwirtschaftlicher Produkte kümmerte, organisierte den Absatz von Butter.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir damals eine ertragsreiche Obstproduktion besaßen, und für viele Bauern war die Obstkultur der rentabelste Betriebszweig. Leider war keine starke Organisation vorhanden die sich um den genossenschaftlichen Absatz gekümmert hätte. Wir erinnern auch noch an die Brenner, die durch die Wirtschaftsunion mit Belgien in eine kritische Situation gekommen waren. Unser Obstbau hat in der Folge immer mehr und mehr an Boden verloren und nach dem 2. Weltkrieg ist für kurze Zeit die Obstproduktion wieder mit Systematik betrieben worden.
rbs.luWir haben nun das Jahr 1939 erreicht und wir kommen zurück zur Aussage, die Großherzogin Charlotte am 22. April 1939 getan hat: ?Unser Land war arm?. Dies kann man in diesem Beitrag lesen. Es wundert vielleicht manche, dass soviel hier über Landwirtschaft geschrieben wurde. Vergessen wir aber nicht, dass damals 75% der Bevölkerung auf dem Land gelebt hat und dass praktisch jeder heute lebende Luxemburger aus einer Bauernfamilie stammt, wenn nicht aus letzter Generation, dann jedenfalls aus vor- oder vorvorletzter. Alles hat sich damals um die Landwirtschaft gedreht, jeder hatte damals ein ?Köpp? Land, wo er seine Kartoffeln erntete, eine Kuh oder wenigstens eine Ziege im Stall. Auch wenn sich heute die Konsumgesellschaft gebildet hat, dürfen wir nicht vergessen, dass die Landwirtschaft ihren Stellenwert in der Ökonomie in allen Ländern der Welt hat, und wenn unser Land auch dem Auge gefällt, wir dies größtenteils unsern Bauern zu verdanken haben.
Vic Fischbach

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